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Präsidialdekret Nr. 2021-117 vom 22. Sep 2021 über Sondermaßnahmen

Präsidialdekret Nr. 2021-117 des Präsidenten der Republik, Kaïs Saïed, vom 22. September 2021 über Sondermaßnahmen, veröffentlicht im Amtsblatt der Republik Tunesien (JORT) Nr. 86 vom 22.09.2021. Kaïs Saïed wird für die Bereiche Justiz und Justizwesen, Information, Presse und Verlagswesen, politische Parteien, Gewerkschaften, Verbände, Organisationen und Berufsverbände sowie deren Finanzierung zuständig sein. Die Maßnahmen sehen von vornherein vor, dass Kaïs Saïed ausnahmslos alle Befugnisse erhält.

Der Präsident der Republik,

gestützt auf die Verfassung, insbesondere auf Artikel 80,

In Anbetracht des Präsidialerlasses Nr. 2021-69 vom 26. Juli 2021 über die Beendigung der Amtszeit des Regierungschefs und der Mitglieder der Regierung

gestützt auf das Präsidialdekret Nr. 2021-80 vom 29. Juli 2021 über die Aussetzung der Befugnisse der Versammlung der Volksbeauftragten

gestützt auf den Präsidialerlass Nr. 2021-109 vom 24. August 2021 über die Verlängerung der Sondermaßnahmen im Zusammenhang mit der Aussetzung der Befugnisse der Versammlung der Volksvertreter

in der Erwägung, dass die Verfassung vorsieht, dass das Volk Träger der Souveränität ist, wie in ihrer Präambel vorgesehen und in Artikel 3 erwähnt

in der Erwägung, dass, wenn das Volk nicht in der Lage ist, seinen Willen zu äußern und seine Souveränität im Rahmen der geltenden Verfassungsbestimmungen auszuüben, die Souveränität Vorrang vor den Bestimmungen über ihre Ausübung hat

in der Erwägung, dass das tunesische Volk wiederholt seine Ablehnung der Mechanismen zur Ausübung der Souveränität zum Ausdruck gebracht hat

in der Erwägung, dass das Funktionieren der staatlichen Behörden beeinträchtigt wurde und die Gefahr nicht nur droht, sondern real ist, insbesondere in der Versammlung der Volksbeauftragten

In Anbetracht der Tatsache, dass der Grundsatz lautet, dass die Souveränität dem Volk gehört, und dass, wenn der Grundsatz den Verfahren zu seiner Anwendung entgegensteht, der Vorrang des Grundsatzes vor den Formen und Verfahren durchgesetzt wird.

Erlässt das folgende Präsidialdekret Nr. 2021-117:

Präsidialdekret Nr. 2021-117 KAPITEL 1
Allgemeine Bestimmungen
  • Artikel 1 – Die Zuständigkeiten der Versammlung der Volksbeauftragten bleiben ausgesetzt.
  • Artikel 2 – Die parlamentarische Immunität aller Mitglieder der Versammlung der Volksbeauftragten bleibt aufgehoben.
  • Artikel 3 – Alle Zulagen und Vorteile, die dem Präsidenten und den Mitgliedern der Versammlung der Volksvertreter gewährt werden, werden gestrichen.
Präsidialdekret Nr. 2021-117 KAPITEL II
Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ausübung der Gesetzgebungsbefugnis
  • Art. 4 – Die Gesetzestexte werden in Form eines Gesetzesdekrets erlassen und vom Staatspräsidenten verkündet, der ihre Veröffentlichung im Amtsblatt der Tunesischen Republik anordnet, nachdem sie vom Ministerrat beraten wurden. Beim Erlass von Rechtsverordnungen dürfen die von der nationalen und internationalen Rechtsordnung garantierten Errungenschaften im Bereich der Menschenrechte und Freiheiten nicht untergraben werden.
  • Art. 5 – Texte, die sich auf Folgendes beziehen, werden in Form eines Gesetzesdekrets erlassen
    – die Genehmigung von Verträgen
    – die Organisation der Justiz und des Gerichtswesens,
    – die Organisation von Information, Presse und Verlagswesen,
    – die Organisation von politischen Parteien, Gewerkschaften, Verbänden, Organisationen und Berufsverbänden sowie deren Finanzierung, – die Organisation der nationalen Armee
    – die Organisation der inneren Sicherheitskräfte und des Zolls,
    – das Wahlgesetz, – die Menschenrechte und Freiheiten,
    – persönlicher Status,
    – die allgemeinen Modalitäten der Anwendung der Verfassung,
    – die grundlegenden Pflichten der Staatsbürgerschaft,
    – lokale Macht,
    – die Organisation der Verfassungsorgane,
    – das organische Gesetz des Haushalts,
    – die Schaffung von Kategorien öffentlicher Einrichtungen und öffentlicher Unternehmen,
    – Nationalität,
    – zivil- und handelsrechtliche Verpflichtungen,
    – Verfahren vor den verschiedenen Kategorien von Gerichten, >
    – die Festlegung von Verbrechen und Vergehen und der dafür geltenden Strafen sowie von Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden,
    – Generalamnestie,
    – die Festlegung der Bemessungsgrundlage für Steuern und Beiträge, ihrer Sätze und der Verfahren für ihre Erhebung,
    – die Regelung der Währungsausgabe, >
    – die Kreditaufnahme und die finanziellen Verpflichtungen des Staates,
    – die Festlegung von Führungspositionen,
    – die Angabe der Vermögenswerte,
    – die grundlegenden Garantien, die den zivilen und militärischen Beamten gewährt werden,
    – die Regelung für die Ratifizierung von Verträgen,
    – das Finanzrecht, den Haushaltsausgleich und die Genehmigung von Entwicklungsplänen,
    – die Grundprinzipien der Eigentumsordnung und der dinglichen Rechte sowie des Bildungswesens, der wissenschaftlichen Forschung, der Kultur, des Gesundheitswesens, der Umwelt, der Raumordnung, der Energie, des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit.
    Angelegenheiten, die nicht zu den oben genannten Bereichen gehören, fallen unter die allgemeine Regelungsbefugnis und werden in Form eines Präsidialdekrets erlassen.
  • Art. 6 – Die Entwürfe für Gesetzesdekrete und Präsidialdekrete mit Regelungscharakter werden vom Ministerrat beraten. Präsidialdekrete mit Regelungscharakter werden vom Regierungschef und dem betreffenden Regierungsmitglied gegengezeichnet.
  • Art. 7 – Gegen Dekrete kann keine Nichtigkeitsklage erhoben werden.
Präsidialdekret Nr. 2021-117 KAPITEL III
Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ausübung der Exekutivgewalt
  • Art. 8 – Die Exekutivgewalt wird vom Präsidenten der Republik ausgeübt, der von einer Regierung unterstützt wird, an deren Spitze ein Regierungschef steht.

Erster Abschnitt – Der Präsident der Republik

  • Art. 9 – Der Präsident der Republik repräsentiert den Staat und leitet seine allgemeine Politik und seine grundlegenden Entscheidungen.
  • Art. 10 – Der Präsident der Republik führt den Vorsitz im Ministerrat; er kann den Vorsitz an den Regierungschef delegieren.
  • Art. 11 – Der Präsident der Republik sorgt für die Ausführung der Gesetze, übt die allgemeine Ordnungsgewalt aus und kann diese ganz oder teilweise an den Regierungschef delegieren.
  • Art. 12 – Der Präsident der Republik übt insbesondere die folgenden Funktionen aus
    – das Oberkommando der Streitkräfte sicherzustellen
    – nach Beratung im Ministerrat den Krieg zu erklären und den Frieden zu schließen,
    – die Schaffung, Änderung und Abschaffung von Ministerien und Staatssekretariaten, die Festlegung ihrer Zuständigkeiten und ihrer Verantwortlichkeiten
    – die Schaffung, Änderung oder Abschaffung von öffentlichen Einrichtungen, Unternehmen und Verwaltungsdiensten sowie die Festlegung ihrer Zuständigkeiten und Befugnisse,
    – die Beendigung der Tätigkeit eines oder mehrerer Regierungsmitglieder oder die Prüfung ihres Rücktritts, – die Akkreditierung von Staatsdiplomaten im Ausland und die Annahme der Akkreditierung von Vertretern ausländischer Staaten
    – die Besetzung und Beendigung von Führungspositionen,
    – die Ratifizierung von Verträgen,
    – Gewährung von Begnadigungen.
  • Art. 13 – Im Falle einer vorübergehenden Verhinderung kann der Präsident der Republik seine Befugnisse durch Präsidialdekret an den Regierungschef übertragen. Während der vorläufigen Verhinderung des Präsidenten der Republik bleibt die Regierung im Amt, bis diese Verhinderung aufgehoben ist.
  • Art. 14 – Ist das Amt des Präsidenten der Republik durch Tod, Rücktritt oder absolute Verhinderung vakant, wird der Regierungschef unverzüglich mit den Aufgaben des Präsidenten der Republik betraut, bis die Rückkehr zur regulären Ausübung der öffentlichen Gewalt gewährleistet ist. Er leistet den Verfassungseid vor dem Ministerrat.
    Ist der Regierungschef gleichzeitig aus einem der im vorstehenden Absatz vorgesehenen Gründe verhindert, so werden dem Justizminister vorläufig die Aufgaben des Vorsitzes der Republik übertragen.
    In den beiden letztgenannten Fällen werden innerhalb einer Frist von mindestens fünfundvierzig und höchstens neunzig Tagen ab dem Zeitpunkt des Freiwerdens des Amtes Wahlen zur Wahl des Präsidenten der Republik durchgeführt.
    Der Interimspräsident der Republik leistet den in Artikel 76 der Verfassung vorgesehenen Verfassungseid.
  • Art. 15 – Der Präsident der Republik kann jeden Entwurf eines Gesetzesdekrets einem Referendum unterwerfen. Wenn das Referendum zur Annahme des Entwurfs führt, verkündet der Präsident der Republik diesen innerhalb einer Frist von höchstens fünfzehn Tagen nach der Verkündung der Ergebnisse des Referendums.

Abschnitt 2 – Die Regierung

  • Art. 16 – Die Regierung besteht aus dem Regierungschef, den Ministern und Staatssekretären, die vom Präsidenten der Republik ernannt werden.
  • Der Regierungschef und die Mitglieder der Regierung leisten vor dem Präsidenten der Republik den in Artikel 89 letzter Absatz der Verfassung vorgesehenen Eid.
  • Art. 17 – Die Regierung sorgt für die Durchführung der allgemeinen Politik des Staates in Übereinstimmung mit den vom Präsidenten der Republik festgelegten Richtlinien und Entscheidungen.
  • Art. 18 – Die Regierung ist für ihre Handlungen vor dem Präsidenten der Republik verantwortlich.
  • Art. 19 – Der Regierungschef leitet und koordiniert die Tätigkeit der Regierung. Er verfügt über eine Verwaltung, die ihm bei der Umsetzung der vom Präsidenten der Republik festgelegten Leitlinien und Entscheidungen zur Seite steht. Er vertritt gegebenenfalls den Präsidenten der Republik im Vorsitz des Ministerrates oder eines anderen Rates.
Präsidialdekret Nr. 2021-117 KAPITEL IV
Schlussbestimmungen
  • Art. 20 – Die Präambel der Verfassung, ihr erstes und zweites Kapitel sowie alle Verfassungsbestimmungen, die nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen des vorliegenden Präsidialdekrets stehen, finden weiterhin Anwendung.
  • Art. 21 – Die provisorische Behörde für die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzesvorlagen wird abgeschafft.
  • Art. 22 – Der Präsident der Republik arbeitet die Revisionsentwürfe für die politischen Reformen mit Hilfe einer Kommission aus, deren Organisation durch ein Präsidialdekret festgelegt wird.
    Das Ziel dieser Revisionsentwürfe muss die Schaffung eines echten demokratischen Systems sein, in dem das Volk tatsächlich der Träger der Souveränität und die Quelle der Befugnisse ist, die durch gewählte Vertreter oder durch ein Referendum ausgeübt werden.
    Dieses Regime basiert auf der Gewaltenteilung und dem tatsächlichen Gleichgewicht zwischen den Gewalten, es verankert die Rechtsstaatlichkeit und garantiert die öffentlichen und individuellen Rechte und Freiheiten sowie die Verwirklichung der Ziele der Revolution vom 17. Dezember 2010 in Bezug auf Arbeit, Freiheit und nationale Würde.
    Diese Revisionsentwürfe werden vom Präsidenten der Republik in einem Referendum zur Annahme vorgelegt.
  • Art. 23 – Dieses Präsidialdekret wird im Amtsblatt der Tunesischen Republik veröffentlicht und ist sofort vollstreckbar.

Tunis, 15 Safar al Khayr 1443

22. September 2021.

Der Präsident der Republik Kaïs Saïed

Präsidialdekret Nr. 2021-117 vom 22. Sep 2021 über Sondermaßnahmen im JORT Nr. 86 vom 22.09.2021

Titelbild: Symbolfoto

Quelle (Präsidialdekret Nr. 2021-117 vom 22. Sep 2021): Leaders